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Analyse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz:
Die Auswirkungen der Ergebnisse auf die kommende Bundestagswahl

Die großen Überraschungen sind ausgeblieben. Bei den beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz konnten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) und Malu Dreyer (SPD) Erfolge einfahren, während die CDU als großer Verlierer gesehen wird. In einem vorwiegend digital geführten Wahlkampf mitten in der Pandemie konnten Kretschmann und seine Partei laut vorläufigem amtlichen Endergebnis in Baden-Württemberg 32,6 Prozent der Stimmen für sich gewinnen, während Dreyer und die SPD in Rheinland-Pfalz rund 35,7 Prozent erhielten. In Rheinland-Pfalz deutet alles auf die Weiterführung der sogenannten Ampel-Koalition bestehend aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hin. In Baden-Württemberg steht diese Koalition sogar als Alternative zur bisherigen Grün-Schwarzen Regierung im Raum. Die Option einer Grün-Roten Koalition wurde in Baden-Württemberg knapp verpasst.

Die Grünen in Baden-Württemberg mit Rekordergebnis – AfD größter Verlierer

Die Grünen haben in Baden-Württemberg ein Rekordergebnis eingefahren. Mit 32,6 Prozent gewannen sie mit bemerkenswertem Abstand vor ihrem Koalitionspartner CDU (24,1 Prozent). Noch deutlicher zurück liegen die drei Oppositionsparteien SPD (11,0 Prozent), FDP (10,5 Prozent) und AfD (9,7 Prozent). Die Wahlbeteiligung lag bei 63,8 Prozent (2016: 70,4 Prozent)

Politisch interessant wird der Wahlausgang dadurch, dass die neue Zusammensetzung des Landtags in Stuttgart erneut deutlich von der des Bundestages und aller anderen Landesparlamente abweicht.

Der Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg steht im engen Zusammenhang mit Winfried Kretschmann. Der auf ihn zugeschnittene Wahlkampf mit dem simplen Slogan „Sie kennen mich“ hat der Partei so viele Stimmen wie noch nie bei einer Landtagswahl beschert. Laut Umfragen stimmten sogar 56 Prozent der CDU-affinen Wähler für den Ministerpräsidenten der Grünen, und nicht für die eigene Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Ca. 70.000 Stimmen wanderten von der CDU zu den Grünen, während weitere rund 40.000 Stimmen in das Lager der Nichtwähler verloren gingen.

Wirtschaft, Umwelt und Klima, Soziale Sicherheit und Bildung wurden als die wichtigsten Themen bei der Wahlentscheidung genannt – nur zwölf Prozent nannten die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Viele politische Handlungsfelder sind dringlich und werden auf der Agenda aller Parteien stehen müssen. Themen wie klimafreundliche Mobilität, die Digitalisierung des Bildungsstandortes oder die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum kamen im Wahlkampf allerdings zu kurz. Zu stark beschäftigten sich Kretschmann und Eisenmann mit der Diskussion über geeignete Pandemielösungen. Zudem war die thematische Deckungsgleichheit der beiden Kandidaten zu groß, als dass ein dynamischer politischer Diskurs hätte entstehen können.

Die Regierungskoalition mit der CDU war für die Grünen nicht unerfolgreich – eine Fortsetzung wäre durchaus denkbar. Dass sich SPD und FDP trotzdem Chancen auf eine grün-rot-gelbe Ampelkoalition ausrechnen, hängt mit dem Politikstil, aber nicht der Person des Ministerpräsidenten zusammen. Im TV-Duell sagte Kretschmann sinngemäß, in der Pandemie merke man richtig, dass man es nie allen recht machen könne. Da müsse man einfach einen Weg finden, wie man das Ganze zusammenbände. Darum wird es in der neuen Legislatur in Baden-Württemberg gehen: Nicht es allen rechtzumachen, aber die vielen Interessen des Landes an einen Tisch zu bringen, um Lösungen zu finden, die Mehrwehrt schaffen und Mehrheiten gewinnen.

Die CDU versucht nun mit allen Mitteln, sich in der Regierung zu halten. Trotzdem wird die Partei Konsequenzen aus der verlorenen Wahl ziehen und sich neu aufstellen. Der konservative Grüne Ministerpräsident Kretschmann könnte so auch zu einer Fortsetzung der Grün-Schwarzen Koalition tendieren, zumal die CDU in Baden-Württemberg tief und breit verankert ist.

Auch in Rheinland-Pfalz legen die Grünen zu – CDU mit historischen Einbußen

Ministerpräsidentin Malu Dreyer wird in Rheinland-Pfalz ihre Ampel-Koalition wohl fortführen können. Von ihrem Sieg in Rheinland-Pfalz profitiert insbesondere ihre eigene Bundespartei, die sich ohne den erfolgreichen Wahlkampf von Dreyer nicht zu den Gewinnern des Wahlabends hätte zählen können. 74 Prozent der Wählerinnen und Wähler nannten Dreyer als den „wichtigsten Grund, die SPD zu wählen“. Letztendlich verloren die Sozialdemokraten dank ihrer Spitzenkandidatin nur einen halben Prozentpunkt und damit deutlich weniger als die CDU (-4,1 Prozent), die ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Rheinland-Pfalz einfuhr. Neben den Freien Wählern (5,4 Prozent | +3,2 Prozent), konnten die Grünen mit 9,3 Prozent am Ende die meisten Stimmen (+4,0 Prozent) dazugewinnen. Auch hier warben die Grünen die meisten Wähler von der CDU ab (ca. 13.000). Die Wahlbeteiligung lag bei 64,4 Prozent (2016: 70,4 Prozent)

In ihrem hauptsächlich virtuell geführten Wahlkampf verwies Dreyer immer wieder auf die verhältnismäßig gute Pandemie-Situation im Bundesland. Rheinland-Pfalz hat mit 8,5 Prozent die viertmeisten Erstimpfungen in Deutschland – belegte bei den vollständig Geimpften allerdings zuletzt nur den neunten Platz (Stand: 16.03.). Durch ihr zuletzt engagiertes Auftreten in den Runden der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten konnte sie ihre Sichtbarkeit weiter steigern – im Gegensatz zum CDU-Spitzenkandidaten Christian Baldauf, der bis zum Schluss relativ unbekannt blieb.

Die CDU konnte sich zwar lange Zeit Hoffnungen machen, die SPD als stärkste Kraft abzulösen. In den Sonntagsfragen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz hatte die CDU noch zu Beginn des Jahres geführt. Erst als die Wahl näher rückte, holte die SPD immer mehr auf. Zu Beginn der vergangenen Woche lagen beide Parteien gleichauf mit 30 Prozent. Doch mit der Korruptionsaffäre rund um ominöse Masken-Deals einzelner Unions-Bundestagsabgeordneter schrumpften auch die Umfragewerte und endeten schließlich in diesem schlechten Wahlergebnis für die CDU. Die breit genutzte Briefwahl verhinderte womöglich noch schlimmeres, denn die Briefstimmen konnten bereits ab dem 21. Februar – also vor Bekanntwerden der Maskenaffäre – abgegeben werden.

Es deutet vieles darauf hin, dass die seit 2016 bestehende Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen in Rheinland-Pfalz fortgeführt wird. Von einem „Erfolgsmodell“ sprach Dreyer am Wahlabend, an dem sie gerne festhalten wolle. Auch ihre Koalitionspartner sind offen für eine Fortführung der Koalition, um das aufgebaute Vertrauen der letzten fünf Jahre zu nutzen. Dreyer weiß, wie sie ihre Koalitionspartner an sich binden kann und ließ ihnen immer wieder den Platz, damit sich FDP und Grüne in ihren Fach- und Spezialgebieten profilieren konnten. „Malu Dreyer begreift eine Koalition auch als Team“ hob etwa der FDP-Generalsekretär und aktuelle Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz, Volker Wissing, hervor. Durch die Zugewinne von Bündnis 90/Die Grünen kann die Ampelkoalition auf eine Mehrheit von 55 Sitzen im Landtag bauen, 51 Sitze reichen für die absolute Mehrheit.

Welche Konsequenzen ziehen die Bundesparteien aus den Landtagswahlen für das Superwahljahr?

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben verdeutlicht, wie essenziell eine mehrheitsfähige Spitzenkandidatin bzw. Spitzenkandidat ist. Die Bürger in setzen auf Kontinuität und bekannte Gesichter in krisengeplagten Zeiten. Zudem wurde deutlich, dass der CDU nicht nur die Maskenaffäre und das zuletzt als mangelhaft beschriebene Krisenmanagement in der Corona-Pandemie geschadet hat, sondern dass ihr auch eine lautstarke Führung fehlt. Dass Norbert Röttgen und nicht der frischgewählte CDU-Vorsitzende Armin Laschet am Wahlabend in den Tagesthemen Rede und Antwort stand, wirft Fragen auf. Und obwohl sich die SPD in Rheinland-Pfalz mit Malu Dreyer als Gewinner der Wahl bezeichnen darf, verloren auch hier die Sozialdemokraten an Stimmen und konnten damit in nur einer der letzten 17 Landtagswahlen Stimmanteile dazugewinnen – zuletzt 2017 in Niedersachsen.

Im Hinblick auf die Bundestagswahl im September hat sich die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz als alternative Machtoption empfohlen. Die FDP wird auch in den anstehenden Wahlkämpfen darauf achten, als eigenständig und in alle Richtungen offen wahrgenommen zu werden.

Für die SPD geht es nun in die entscheidende Phase – sie wird sich in den nächsten Monaten zwar mit neuen realistischen Machtoptionen schmücken dürfen. Dabei wird jedoch immer auch auf die Frage einzugehen sein, ob die SPD in eine Regierungskonstellation eintreten würde, in der die weiterhin stark positionierten Grünen den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. 

Nach den Landtagswahlen kommt es nun darauf an, wie die Bundesparteien auf die Ergebnisse reagieren werden und wie gut sich die Bundesregierung im Management der Corona-Pandemie behaupten kann. Bevor es in die heiße Wahlkampfphase geht, müssen nun zunächst personelle und inhaltliche Fragen geklärt werden. Es bleibt abzuwarten, ob Grüne, Sozialdemokraten und FDP die aktuelle Situation der Union für sich nutzen können.

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Der Autor Linus Hof berät für ADVICE PARTNERS im Bereich Public Affairs und Krisenkommunikation


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