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Der Bundestagswahl-Parteiencheck: FDP

„Nie gab es mehr zu tun“. Mit dieser Botschaft zieht die FDP in die Bundestagswahl 2021 und bekräftigt damit ihren Anspruch, Teil der nächsten Bundesregierung werden zu wollen. Am vergangenen Wochenende verabschiedeten die Liberalen nach der SPD als zweite Partei ihr Wahlprogramm und bestätigten Christian Linder zudem mit 93 Prozent als ihren Parteivorsitzenden.

Inhaltlich sieht sich die Partei durch die Corona-Pandemie in ihren liberalen und wirtschaftlichen Schwerpunkten gestärkt und setzt in ihrem Wahlprogramm vor allem auf die Stärkung der Wirtschaft und des Bildungswesens, den Ausbau der Digitalisierung und auf Bürgerrechte.

Wirtschaft- und Finanzpolitik

Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern und im internationalen Wettbewerb zu den USA und China aufschließen zu können, fordert die FDP Steuersenkungen für Unternehmen auf 25 Prozent, für Privathaushalte auf unter 40 Prozent, einen Bürokratieabbau sowie Investitionen in das Bildungssystem. Um die Wirtschaft zu stimulieren soll anstelle von Steuervorauszahlungen eine „Negative Gewinnsteuer“ für Unternehmen ausgezahlt werden. Der Spitzensteuersatz soll zudem erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greifen. Auch eine weitere Verschärfung der Erbschaftssteuer lehnen die Liberalen in ihrem Wahlprogramm ab.

Arbeit und Soziales

Das Feld Arbeit und Soziales bekommt bei der FDP sowohl im Wahlprogramm als auch in der Parteiführung ein stärkeres Gewicht. Mit der Wahl des Arbeitsmarktexperten Johannes Vogel zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden und den Forderungen im Wahlprogramm nach einer moderneren Arbeitswelt positioniert sich die FDP neu. So sollen sowohl Arbeitszeiten als auch das mobile Arbeiten gestärkt werden. Dazu gehöre besonders eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Frauen in Führungspositionen und die Diversität in Unternehmen sollen gefördert werden, um so gleiche Chancen unabhängig von der Herkunft zu schaffen. Darüber hinaus sollen Selbstständige durch eine Reform des Statusfeststellungsverfahren und der freien Wahl bei der Altersvorsorge gefördert werden.

Umwelt-/Klimapolitik

Um das Klima besser zu schützen, soll der EU-Emissionshandel (EU-ETS) großflächig ausgeweitet werden, um so Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien zu schaffen. Für den CO2-Ausstoss müssten Zertifikate erworben werden, die von Jahr zu Jahr verringert werden und damit perspektivisch teurer werden. Das Ziel soll ein einheitlicher marktwirtschaftlich gesteuerter CO2-Preis sein.

Durch die Aufforstung von Wäldern und der „Wiedervernässung“ der Moore sollen außerdem diese wirksamen Kohlenstoffspeicher einen Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Die Umweltpolitik müsse als Innovationsmotor für eine lebendige Start-Up-Kultur dienen. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb entscheide anschließend über die zukunftsträchtigsten Ideen.

Mobilität

Um eine innovative, ökologische und bezahlbare Mobilität zu gewährleisten, setzt die FDP auf einen Wettbewerb über technologische Innovationen, Infrastrukturen und umweltfreundliche Motoren. Pauschale Einschränkungen des Individualverkehrs wie Dieselverbote und Tempolimits lehnt die Partei ab. Ferner möchten die Freien Demokraten den Bahnbetrieb privatisieren, um den Eingriff des Bundes auf den Ausbau der Infrastruktur zu beschränken. Dafür sollen die Investitionsmittel erhöht und die Modernisierung und Sanierung priorisiert werden. Zudem möchte die FDP einseitige Vorgaben und Regularien abbauen, beispielsweise im Luftverkehr oder beim Fahrzeugbau, um eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Mobilität zu ermöglichen. Die von der EU festgelegten CO2-Flottengrenzwerte sollen kritisch überprüft und alternative Kraftstoffe bei der Berechnung miteinbezogen werden. Auch das autonome Fahren soll durch eine langfristige Strategie mit einheitlichen europäischen Standards gefördert werden.

Digitalpolitik

Die FDP hat seit ihrem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag 2017 häufig ein sehr digitalaffines Bild von sich gezeichnet und auch in der parlamentarischen Arbeit die Digitalisierung immer wieder herausgestellt. So führte sie die letzten Jahre den Vorsitz des Ausschusses Digitale Agenda im Deutschen Bundestag, der im parlamentarischen Gefüge durch ein korrespondierendes Digitalministerium nach der Bundestagswahl eine Aufwertung erfahren könnte. Im Wahlprogramm fordert die FDP explizit ein Ministerium für Digitale Transformation. Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Digitalstandort soll durch eine flächendeckende und hochleistungsfähige Mobilfunkabdeckung, ein Glasfasernetz und die Erstattungen für Kosten, die bei dem Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Privathaushalte entstehen, gelingen. Auch die Leistungsfähigkeit der Verwaltung soll durch E-Government gestärkt werden.

Neben der Entwicklung einer bundesweiten Strategie für Cybersicherheit und einer Roadmap für Künstliche Intelligenz fordert die FDP zudem einen digitalen Binnenmarkt auf europäischer Ebene und den Abbau regulatorischer Hürden.

Gesundheitspolitik

Um eine bedarfsgerechte und qualitative hochwertige Gesundheitsförderung sicherzustellen, fordert die FDP, die Investitionsfinanzierung für maximalversorgende und kleinere spezialisierte Krankenhäuser nachhaltig durch ein Vergütungssystem bei Leistungserbringung zu ergänzen. Als Lehre und direkte Konsequenz aus der Pandemie soll die Arzneimittelherstellung wieder stärker nach Deutschland und in die EU verlagert werden, um Engpässe zu vermeiden und Abhängigkeiten zu minimieren. Auch das Gesundheitswesen müsse stärker digitalisiert werden, insbesondere im Bereich der Vernetzung zwischen Gesundheitsakteuren und Patientinnen und Patienten.

Daneben will sich die FDP nach der Bundestagswahl für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege einsetzen. Unter anderem soll die Pflegeausbildung durch aufbauende Ausbildungsgänge und eine leistungsgerechtere Durchlässigkeit reformiert werden. Vorgeschlagen wird ein Drei-Säulen-Modell aus Umlagefinanzierung, privater sowie betrieblicher Versorgung.

Europa/Außenpolitik

Eine außenpolitisch starke EU sei zentral für die Bewältigung des weltweiten Klimawandels, von Terrorismus und Migration. Die Leitlinien und Ziele der EU sollen gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und den Bürgerinnen und Bürgern bei einer Konferenz zur Zukunft Europas erarbeitet werden. Nach dieser Konferenz soll dann ein Konvent zur Erarbeitung einer Verfassung mit einem Grundrechtekatalog für einen föderal und dezentral verfassten Europäischen Bundesstaat einberufen werden.

Auch auf der politischen Weltbühne soll die EU gestärkt werden. So soll der „Hohe Vertreter“ der EU für Außen- und Sicherheitspolitik als „EU-Außenminister“ agieren können. Der Aufbau einer europäischen Armee ist ebenfalls ein Ziel der FDP. Die bisherige Verteidigungsunion soll gestärkt und der grenzübergreifende Austausch mit anderen Staaten intensiviert werden. Außerdem solle dem Vereinigten Königreich die Möglichkeit für einen zweiten Beitritt zur EU offengehalten werden.

Wie möchte die FDP ihre Vorhaben finanzieren?

Durch eine Stärkung der sozialen Marktwirtschaft und des Freihandels und über die Ermutigung des Mittelstands, von Selbstständigen und Startups soll das Wirtschaftswachstum in Deutschland angeregt werden, um so die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sicherzustellen. Weiterhin fordert die FDP, dass Deutschland ab 2025 25 Prozent des BIP aus dem privatwirtschaftlichen Bereich investieren solle. Dafür müssen passende steuer- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Fazit

Nachdem die FDP im Jahr 2017 die Jamaika-Koalitionsverhandlungen beendet hat, signalisiert die Partei rund um Christian Lindner Gesprächsbereitschaft und den ausgeprägten Willen, Teil der nächsten Bundesregierung zu werden. Man wolle eine rot-rot-grüne sowie eine schwarz-grüne Koalition verhindern und aus der Mitte heraus regieren, sagte der Parteivorsitzende. Während er mit Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen bereits gute Erfahrungen bei Koalitionsverhandlungen gemacht habe, werden sich die Fronten mit den Grünen im Vergleich zu vor knapp vier Jahren kaum gebessert haben. Während in einer Neuauflage der Jamaika-Verhandlungen zum einen die Machtverhältnisse zwischen den beteiligten Parteien anders aussehen werden, wird neben der Finanzierung von umweltpolitischen Vorhaben vor allem die Steuerpolitik ein Knackpunkt: Die Grünen wollen stärkere Belastungen, die Liberalen Entlastungen. Die FDP hat nun bis zur Bundestagswahl die Chance, ihre eigene Position zu stärken und sich weiterhin als eigenständige politische Kraft zu positionieren.   

Zu diesem Beitrag haben Max Kastner und Hendrik Bodewig beigetragen.

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Der Autor Florian Beer berät für ADVICE PARTNERS im Bereich Public Affairs